19.05.2022 |   Andacht

Klopft an und wacht auf

Andacht zum Sonntag Rogate

von Pfarrer Frank Schuster

Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten! Lukas 11, (1–4) 5–13

Wissen Sie, was ein „MoF“ ist? Ich wusste es auch nicht, bis meine Konfirmanden mich vor einigen Jahren darüber aufklärten. „MoF“ ist die Abkürzung für „Mensch ohne Freunde“. So jemand ist arm dran. Wo doch jeder Freunde braucht. Die einem zuhören, wenn man sich aussprechen möchte. Die einem helfen, wenn man es alleine gerade nicht schafft. Die man einfach mal anruft, wenn einem danach ist. Auf die man sich verlassen kann. Die einen zu verstehen versuchen und nicht verurteilen. Bei denen man so sein darf, wie man ist. Ein Schlager aus den 1930er Jahren besingt es unvergessen so:

„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt. …“

Da traust du dich sogar, nachts anzurufen, selbst mitten in der Nacht hinzugehen und ihn um einen dringenden Gefallen zu bitten. Zu wem könnte ich noch nach Mitternacht gehen und ihn um etwas bitten? Da merkt man schnell, was wirkliche Freunde sind. Bei vielen hat man das Gefühl, als seien das gar keine richtigen Freunde, sondern welche, die mich eher salopp mit „mein Freund“ anreden.

Im Johannesevangelium (15, 14) sagt Jesus zu den Seinen: Ihr seid meine Freunde. Und er wirbt in unserem Gleichnis darum, alle Scheu abzulegen. Traut euch, bittet, sucht, klopft an, seid unverschämt. Ich nehme es euch nicht übel. Ihr geht mir nicht auf die Nerven. Niemals. Ich bin euer Freund. Sagt es mir, jedes Mal, wenn ihr Angst habt; wenn ihr verzweifelt seid, wenn euch etwas fehlt; wenn ihr euch ärgert. Bittet, und es wird euch gegeben. Sucht, und ihr werdet finden. Klopft an, und es wird euch aufgemacht.

Jesus sieht hier die Wirklichkeit so: Es ist genug vom Nötigen da, aber es ist nicht immer bei dem, der es am nötigsten braucht. Dann müssen wir es besser verteilen. Daher ist unsere Welt auf Abgeben aus. Das Leben ist Überquellendes, ist unendlich mehr Schenken als Darben, mehr Fülle als Mangel. Jesus lässt dem Einzelnen die Würde der Selbsteinschätzung. Auch die knausern, gehören zur großzügigen Wirklichkeit. Sie ändern nichts daran, dass die Menschheit voller Hilfsbereitschaft ist, wenn man nur genügend bittet.

Die Flutkatastrophe an der Ahr, die Geflüchteten aus der Ukraine haben es bei uns wieder gezeigt. Die Goldadern der Nächstenliebe müssen nur geschürft werden; sie sind da, wenn auch oft unter Hartherzigkeit und Bequemlichkeit verborgen. Lernen wir, uns als Bedürftige zu erkennen und zu erkennen zu geben. Das Beten ist genau die Sprache des Bedürfens, ist die Muttersprache unserer Seele. Wir Menschen sind Mängelwesen, ist doch unsere allererste Äußerung ein Schreien und Bitten um Nahrung und Fürsorge. In der Familie machen wir solche guten Erfahrungen, von Anfang an. Ein Kind schreit mitten in der Nacht; die Mutter stillt es – im doppelten Sinn; der Vater trägt es auf dem Arm; sie geben ihm, was immer es braucht, um wachsen zu können, um gesund zu bleiben.

Und es ist unser Vater im Himmel, der gibt, was wir zum Leben brauchen; der sich von uns finden lässt, damit wir wissen, wen wir bitten und wem wir vertrauen; der uns die Tür öffnet, damit unser Leben niemals in einer Sackgasse endet, sondern immer nach vorne offen bleibt, für das Leben; damit niemand sagen muss, er sei ein „MoF“, er habe keinen Freund, er sei niemandem wichtig, niemand frage nach ihm, niemand vermisse ihn. Gott öffnet uns die Tür der Liebe und der Zukunft. Und er lässt uns darüber hinaus wissen: Es gehört unabdingbar zum Christsein, sich im Schlaf stören und sogar aufwecken zu lassen!

Frank Schuster ist Pfarrer an der Martin-Luther-Kirche in Neustadt.

Gebet

Gott, alle, die nirgendwo willkommen sind, vor verschlossenen Türen stehen, zur falschen Zeit kommen, die gezwungen sind, Dinge zu tun, die ihnen selber peinlich sind, die dennoch mit leeren Händen dastehen und anderen auf die Nerven gehen – ermutige sie immer wieder neu zum Bitten, zum Suchen, zum Anklopfen. Amen.